Personifizierung in der Politik
Zur Körpersprache von Politikern im Wahlkampf
“Früher bestimmten die Ideen die Politik, heute sind es die Personen,“ stellt Psychologie-Professor Siegfried Frey fest. So hat heute jede Politik ihr “Gesicht“, nämlich das desjenigen Politikers, der sie vertritt. Nachrichten über Politiker wirken als Video-Clip wie ein außerordentlich überzeugendes “visuelles Zitat“ (Frey). Diese virtuellen Zitate bringen völlig neue Kriterien der Politik-Beurteilung ins Spiel. Dem Fernsehzuschauer werden die Nuancen von Aussehen, Mimik und Gestik zugänglich, “an der sich die soziale Wahrnehmung orientiert“ (Frey).
Wahlkampf und Politik haben sich zu einem Medienspektakel gewandelt. Die Politiker selbst inszenieren sich als Medienereignis. Politik wird zu einem Teil der Unterhaltungsindustrie und im September 1998 wurde klar, daß erstmals das Fernsehen in Deutschland die Wahl gewonnen hatte. Die sonst so vertrauten, rituellen Wortgefechte der Politiker waren “stink langweilig geworden. Daher kaum noch ernst genommen“ (FAZ). Die Wahlwerbung der Parteien fand “zwischen Müsli und Zahncreme“ (Die Zeit) statt. Auch wenn die Parteien um jeden Preis auffallen wollten, fanden sie immer weniger Aufmerksamkeit. Dies resultiert weniger aus den fehlenden, klaren politischen Aussagen der Partei, sondern aus der Personifizierung der Politik .
Spätestens die Clinton-Affäre hat demonstriert, “wie künftig mit komplexer Politik umgegangen wird“ (taz). Wird man in Zukunft nur noch darüber lesen, wie die Politiker leben? Wie sie mit wem Sex haben? Und dann bis ins kleinste Detail?
Die ständig mit Werbespots bediente Spaß- und Erlebnisgesellschaft hat den Individualismus zum Fetisch erhoben. „Wählen gehen“ wird zu einem Lifestyle-Phänomen unter vielen. Politik zur Personality-Show. Politische Kompetenz zum Image von politischer Kompetenz. Dieses wird, medial inszeniert, zum Erfolgsfaktor Nr. 1. So hat es beispielsweise die Berlusconi-Firma Fininvest mit ihren privaten Fernsehsendern 1994 in nur knapp 2 Monaten geschafft, einen für den Wahlausgang entscheidenden Wählerzuwachs von 12% zu erreichen.
Medienpräsenz ist zur Erfolgsbedingung für Politiker geworden. Wie steht es aber um das schwierige Verhältnis von Medien und Politikern? Wie wirken Politiker erfolgreich als medial inszenierte Figuren? Wie gestaltet sich das Zusammenspiel von Medienmaske und Persönlichkeit des Politikers?
Bilder statt Worte
Besonders das Fernsehen hat einen neuen Typus des Berufspolitikers geboren, nämlich den „professionellen Polit-Entertainer und Showman“(FR). Der frühere US-Präsident und ehemalige Hollywood-Schauspieler war der erste Politiker, der das Präsidentenamt als Kinofilm inszenierte. Reagen wurde ein vollendeter Darsteller eines Präsidenten, so der Reagen-Biograph Lou Cannon, der seine Darstellungskunst zeigen wollte und “gute Laune statt Politik verkaufte“. Ganz im Sinne Reagens („wenn man sein Publikum mag, will man es auch glücklich machen“)fingen die Medien nach der Reagen-Ära an, mit der Politik genauso zu verfahren wie mit jeder konventionellen Unterhaltungsform. John F.Kennedy Jr., Sohn des verstorbenen Präsidenten, reiht schließlich Politik in das populär-kulturelle Leben ein neben Sport, Musik und Kunst. Er gründete das politische Magazin “George“, in dem Politik explizit als Politainment aufgefaßt wurde.
Die Prominenzierungsforschung bescheinigt inzwischen demjenigen ein Höchstmaß an Bekanntheitsgrad an Prominenz, der kontinuierlich vor allem mit seinem Bild in den Medien erscheint. Es spielt dabei weniger eine Rolle, um was es geht. “Den kenn ich doch“, empfindet der Medienkonsument aufgrund einer geheimnisvollen Teilidentifikation.
Im Bundestagswahlkampf (1998) setzten daher die Parteien auf Aktionen und Inszenierungen, die “auf das Fernsehbild und nicht auf das Strassenbild “abzielten. Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder entwickelte 1998 durch die Darstellung seiner menschlich-sympathischen Seite ein “künstliches Mediencharisma“ (FR). Er machte sich dabei nicht zum Clown, wie der SPD-Altkanzler Helmut Schmidt noch sechs Jahre zuvor über Politiker geschimpft hatte, die ins Fernsehen drängen, nur um gesehen zu werden. Schröder brillierte im Unterhaltungswahlkampf u.a. durch seine Rolle in einer RTL-Soap. Dabei wirkte er nicht peinlich, “machte keine Mätzchen und kam als Nachbar gut rüber“ (TV-Spielfilm). Gerade hierdurch erarbeitete sich Schröder einen deutlichen Sichtbarkeitsbonus gegenüber Helmut Kohl, der sich und seine Partei eher noch als Programm-Partei profilieren wollte. Auch wenn er sich zum Ende des Wahlkampfs von Thomas Gottschalk coachen ließ.
Bereits 1997 hatte die SPD die bis ins „Detail ausgefeilte Choreographie der Wahlkämpfe von Clinton und Blair“ (Der Spiegel) als Vorbild für den eigenen personenzentrierten Wahlkampf genommen. Die vorausgegangene monatelange Kandidatenkür („wann rückt die SPD endlich mit ihrem Kandidaten heraus?“) hatte der SPD inzwischen einen unbezahlbaren Aufmerksamkeitsbonus beschert, den einzulösen 1998 Schröders persönliches Geschick war.
„Die Welt hat keine Zeit mehr für Worte“(Stern)spiegelt als Bilanz des Werbefestivals in Cannes 1998 Einstellung und Konzept der Medienmacher. Die jungen Profis bezeichnen sich als erste Werbergeneration, die vor dem Fernseher aufgewachsen ist. Jetzt würden sie in Bildern statt in Worten erzählen. Bilder, die Politik zu einer verschwommenen Botschaft aufweichen. Bilder, die aber auch den Politiker als Person nach vorne ins Rampenlicht treten lassen.
In den letzten Jahren hat sich das Internet rasant zu einem Alltags-Medium entwickelt. Es bietet gerade als interaktives Medium Usern und Konsumenten die Möglichkeit, sich interaktiv zu beteiligen. Zu beteiligen an der Meinungsbildung und der Suche nach relevanten Informationen. Glaubt man der Bedeutung der nonverbalen Wirkung von Politikern, so tauchen dabei gerade für das Internet deutliche Probleme in so weit auf, als es zur Zeit noch zu textlastig ist.
Wie lassen sich also Bilder und bildhafte Beschreibungen zu visuellen Zitaten verdichten, die gerade auich im Internet dem Zusammenspiel von Körpersprache,Persönlichkeit und Handlungsmustern der Politiker gerecht wird. (Ich werde mich in einem späteren Beitrag speziell der Wechselwirkung von Internet und bildhafter Präsentation der Personifizierung von Politik zuwenden. Bin aber natürlich zuvor schon an Ihren interessanten Meinungen hierzu interessiert: sollmann.ulrich@cityweb.de)
Körperausdruck und Persönlichkeit
Jetzt ist es die “Wahrheit der ehrlichen (persönlichen)Geste“ wie Walther Keim, Chef der Pressedokumentation im Berliner Reichstag meint, die die Glaubwürdigkeit des Politikers begründet. Die Körpersprache, die die Stimmigkeit von innen und außen ausdrückt. “Der Körper spricht mit uns“, meint der Pantomimenstar und Meister der Körpersprache Samy Molcho und appelliert auch an Politiker, wieder auf die nonverbale Kommunikation zu vertrauen. Werden doch nur etwa 10 % aller Informationen, die zwei Menschen aus einem Gespräch gewinnen, über Worte vermittelt. „Ungefähr zwei Drittel der Mitteilungen dagegen nimmt man durch das Lesen der Körpersprache auf“(Bunte).Diese wirkt wie eine Muttersprache, die aber von vielen verlernt wurde.
Das Zusammenspiel von Körpersprache und Persönlichkeit setzt sich und das muss betont werden insbesondere insbesondere aus zwei Wirkelementen zusammen. Einerseits werden vor allem unter hoher Belastung und Stress persönliche Züge, emotionale Eigenschaften und Handlungsmuster deutlich. Sie sind als Ausdruck der Persönlichkeit dem Menschen eher “auf den Leib geschrieben“. Andererseits werden beim Zuschauer “autonome, vegetative Prozesse aktiviert, die eine spontane emotionale Stellungnahme zu der wahrgenommenen Person auslösen.“ Man betrachtet gewissermassen den Politiker aus der Nähe und macht sich im wahrsten Sinne des Wortes sein eigenes Bild, indem man dem Politiker auch Eigenschaften zuschreibt, die er vielleicht gar nicht hat.
Wenn der deutsche Kanzler Gerhard Schröder beispielsweise oft durch gewichtige, schlagkräftige Argumente überzeugen will, tut er dies mit ruhiger, lauter Stimme. Während andere mit erhobener Faust ihre Worte unterstreichen, geht der Kanzler in die Knie. Entweder er federt sich selbst ab oder seine Beine haben Schwierigkeiten, ihn zu halten. Sie geben nach. Gleichzeitig schiebt er sein Becken leicht hat nach hinten. Der Oberkörper beugt sich zusehends nach vorne, als wollte er sich verbeugen. Die Unterarme und Hände heben sich zu einer bittenden fast flehenden Geste, als würden sie darauf warten, von den anderen Menschen endlich akzeptiert zu werden.
Gerade diese Geste überzeugt! Sie zeigt einen mächtigen Kanzler, der als Mensch auch unsicher sein kann. Der, angewiesen auf seine Genossen und die Partei, um deren Unterstützung bittet. Und daher 1998 gerade deshalb gewählt worden ist.
Als Ergebenheitsgeste erlebt wurde sie von den Medienkonsumenten zu Anfang der Regierungszeit unbewusst aber auch abgewehrt. Wollte man damals doch den Macher-Kanzler. Keinen Bittsteller. Diese Geste entlavt aber auch, weil sie die Medienöffentlichkeit eines Besseren belehren könnte. Wenn das Publikum nämlich genau hinsieht und sich beides bewusst macht: die Macht und die Unsicherheit. Schröder ist nämlich gerade auch deswegen gewählt worden. Das ist der spezifische Schröder-Effekt den man in der SPD noch im Jahre 2001, so der SPD-Generalsekretär Müntefehring, nicht kannte. Er sollte 1998 den unerschütterlich selbstsicheren Helmut Kohl ablösen. Seine Wähler wollten einen Kanzler, der auch unsicher sein kann. Unsicher wie sie es selbst waren. Dann aber, im Herbst vergangenen Jahres, wehrte man mit aller Kraft die eigene Unsicherheit ab, indem man sie bei Schröder anprangerte und ihn zu einem schwachen, inakzeptablen Kanzler abwertete.
2002 schließlich findet die Personifizierung in der Politik, die eng mit der medialen Inszenierung von Politik verknüpft ist, erste feste Rituale: Ging es doch im ersten TV-Duell um die körpersprachliche Selbstpräsentation der Kontrahenten, die sich dem Wähler gegenüber als nonverbal unterschheidbar zeigen wollten. Im zweiten TV-Duell hingegen überzeugten Schröder und Stoiber auf überzeugend unterschiedliche Art und Weise im Wechselspiel von körpersprachlichem Ausdruck und Gestaltung der Kommunikation im Studio, vor laufender Kamera.
Ulrich Sollmann, körperorientierter Psychotherapeut,
Unternehmensberater und Körperspracheexperte (sollmann.ulrich@cityweb.de)
Frey, Siegfried „Die Macht des Bildes“, Bern 1999
Sollmann, Ulrich „Schaulauf der Mächtigen – was uns die Körpersprache der Politiker Verrät“, München 1999
Erschienen am 02.10.2002 politik-digital.de
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