KOMMUNIKATION
"Unternehmen brauchen ein Gesicht"
Von Martin Scheele
manager-magazin.de, 28.04.2004, 18:08 Uhr
Deutschlands Konzernlenker suchen viel zu selten die Öffentlichkeit, kritisiert Psychotherapeut und Coach Ulrich Sollmann. Im Gespräch mit manager-magazin.de erklärt er die Ursachen für peinliche Managerauftritte und zeigt Wege aus der Misere.
mm.de: Unsere Spitzenpolitiker sind nahezu täglich in Fernsehen, Radio und Presse vertreten, Deutschlands Unternehmenschefs nicht. Was empfehlen Sie unseren Konzernlenkern: Die Zurückhaltung zu wahren oder mehr Präsenz zu zeigen?
Sollmann: Ganz eindeutig: mehr Präsenz zu zeigen. Auch Chefs kommen in einer Medienwirklichkeit nicht daran vorbei, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Würden sie diesem Bedarf nicht gerecht werden, ihn ignorieren, ihn gar leugnen, produzieren sie ihr eigenes Medienproblem.
mm.de: Welche Vorteile hat es, wenn sich ein Topmanager in der Öffentlichkeit präsent macht?
Sollmann: Er wird wahrgenommen, kann strategische Interessen kundtun und bestenfalls seine Firma und seine Produkte populär machen. Außerdem hat er die Chance, Mitarbeiter zu motivieren, denen er im Unternehmen nicht persönlich begegnet. Das wirksamste Medium für solche Auftritte ist das Fernsehen. Eine Studie von 1995 zeigt: Je mehr ein Chef in Bildern präsent ist, - zunächst ganz unabhängig von der verbalen Botschaft -, desto eher wird er wieder erkannt und ist prominent.
mm.de: Darüber freut sich der Chef persönlich. Was bringen Medienauftritte der Leitenden dem Unternehmen?
Sollmann: Man sagt, dass der CEO etwa 25 Prozent des Firmenwerts verkörpert. Er ist also sehr wichtig, wenn es um das Unternehmen geht. Ferner handelt eine Vielzahl von Medienberichten über Unternehmungen vor allem vom Vorstand, und die Zahl dieser Berichte steigt ständig. Das heißt, ob er will oder nicht, der CEO befindet sich immer an vorderster Front.
Wenn er zwar schlaue Sätze sagt, sich aber gleichzeitig offensichtlich unwohl in seiner Haut fühlt, dann hat auch das Unternehmen ein Problem. Dies zeigt sich bei Präsentationen, wenn ein Vorstand rein auf der Sicherheit gebenden Ebene von Zahlen und Fakten verharrt. Diese Chefs erfüllen zwar ihren Job, so wie es von ihnen verlangt wird, ohne aber ihr Publikum auf einer tieferen Ebene als Menschen zu überzeugen. Unternehmen brauchen aber ein persönliches Gesicht, um in der Öffentlichkeit nachhaltig zu wirken.
mm.de: Wo sollten sich Manager im Fernsehen zeigen? In Talkshows wie "Sabine Christiansen"?
Sollmann: Nach Reichweite und Zielgruppe ist das sicher angemessen. Aber viele Manager haben Angst vor Kollegenschelte. Nach dem Motto: Das haben wir nicht nötig; da zeigt man sich ja nur; wir wollen substanzieller sein. In Wahrheit können viele mit dem Medium Fernsehen und dem Live-Charakter einer Talkshow nicht umgehen. Sie rationalisieren ihre Angst durch schlaue Argumente weg.
Ich meine, jeder Satz, der nicht in der Öffentlichkeit gesagt wird, ist eine verpasste Chance. Stellen Sie sich vor: Sie können einem Millionenpublikum ein zuschauernahes Bild nahe bringen und darauf ihre Unternehmensbotschaft setzen. Das ist ideal. Doch dazu gehört der Mut, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das ist das heikelste Kapitel für Manager.
mm.de: Welche Konzernlenker sind am häufigsten in Deutschlands Medien präsent?
Sollmann: In meiner spontanen Wahrnehmung sind das DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, die Deutsch-Banker Josef Ackermann und Rolf-E. Breuer, Bahn-Lenker Hartmut Mehdorn - und früher der ehemalige Vormann der Deutschen Telekom, Ron Sommer. Bei den meisten steckt dahinter eine ganz bewusste Strategie. Bahn-Chef Mehdorn beispielsweise kann gar nicht anders. Er muss persönlich auf die vielen Klagen der Fahrgäste reagieren. Er tut gut daran, in Erscheinung zu treten und gibt damit dem Unternehmen ein Gesicht. Andernfalls würden die Gräben zwischen Bahn und Fahrgästen immer tiefer werden.
mm.de: Präsent zu sein, heißt ja noch lange nicht, dass der Unternehmenschef auch einen guten Eindruck macht. Wie lauten Ihre drei wichtigsten Ratschläge?
Sollmann: Ich empfehle Folgendes: erstens Mut zur eigenen Persönlichkeit, zweitens Sicherheit in dieser besonderen Individualität und drittens "Vergessen Sie nicht: andere Menschen sind auch Menschen".
mm.de: Welche Konzernlenker glänzen Ihrer Meinung nach mit besonders überzeugenden Auftritten?
Sollmann: Harry Roels von RWE, Deutsch-Banker Josef Ackermann, Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke, Puma-Vormann Jochen Zeitz. Roels verkörpert als kommunikativer Macher das RWE-Logo, die RWE-Hand. Einerseits wirkt er bei öffentlichen Auftritten durch seinen direkten, persönlichen Blickkontakt und eine kommunikative Wachheit sowie Gestik, andererseits durch seine unmissverständliche Direktheit im Redebeitrag.
Bei Ricke sieht man an seiner spontanen und differenzierten Mimik, dass er ein bewegter Mann ist, aber auch ein Mann, der einen Konzern bewegt. Zeitz steht zu seiner jugendlichen und unbeschwerten Ausstrahlung, aber auch zur Ernsthaftigkeit eines erfolgreichen Unternehmenslenkers.
Ackermann schließlich hat sich kurz nach seinem heftig diskutierten Victory-Zeichen beim Düsseldorfer Mannesmann-Prozess öffentlich dafür entschuldigt. Von einem Deutsche-Bank-Vormann ist man dies nicht gewohnt, und als Vertreter des gesellschaftlichen Klischees eines "gierigen Vorstands" hätte er dies gewiss nicht nötig gehabt.
mm.de: Können Topmanager für ihre Publikumsauftritte von medienerprobten Spitzenpolitikern lernen? Wo sehen Sie Unterschiede?
Sollmann: Politiker klopfen in der Öffentlichkeit gern einen schönen Spruch, bringen dazu noch ein Beispiel, am besten anschaulich und sinnlich verpackt, schon haben sie gepunktet. Unternehmer dürfen nicht so populistisch agieren. Hinzu kommt, dass sie nicht so erfahren darin sind, ihre Botschaften medienwirksam zu verpacken.
Politik lebt - im Gegensatz zur Wirtschaft - auch davon, dass mehrere Meinungen gleichzeitig vertreten werden dürfen. Am Beispiel von Ex-Bundesbankchef Ernst Welteke sieht man, dass sich noch am Vormittag das Finanzministerium hinter ihn stellte, am Nachmittag forderte die gleiche Behörde seinen Rücktritt. Solche Kehrtwenden dürfen Politiker sich vielleicht erlauben. In Unternehmen dagegen geht es um Zahlen, und die Börse reagiert auf Nuancen.
mm.de: Bleiben wir bei Ernst Welteke. Hätte er noch mehr falsch machen können?
Sollmann: Kaum. Sein schlimmster Fehler war, die Vorwürfe zu leicht zu nehmen. Ein Muster, das ich aus der Politik kenne. Nehmen wir nur Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping und seine Mallorca-Fotos. Der SPD-Mann fragte naiv: "Was habt ihr denn dagegen?" Scharping hatte kein Fingerspitzengefühl für die damalige politische Situation, den Kontext im Kosovo.
mm.de: Wie hätte Welteke besser reagieren können?
Sollmann: Er hätte Farbe bekennen müssen. Im Krisenmanagement von Unternehmen gibt es einen Grundsatz, der auf jeden Fall beherzigt werden muss: Wenn du Fehler gemacht hast, stehe dazu. Auf keinen Fall dürfen Führungskräfte sich aus der Verantwortung stehlen. Ob das Welteke vor dem Rücktritt bewahrt hätte, weiß ich nicht. Aber menschlich und professionell wäre dies eine angemessene Reaktion gewesen.
Ein anderes Beispiel: Als sich Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust im vergangenen Wahlkampf gegen seinen ehemaligen Innensenator Ronald Schill wehrte, ließ Beust sich von seinem Vater verteidigen. Dieses Verhalten wäre für einen Topmanager ein Armutszeugnis. Eine Führungskraft muss sich stellen, sonst zerfällt ihre Autorität. Stellen Sie sich vor, Jürgen Schrempp schickte in brenzligen Situationen seinen Aufsichtsratschef vor. Dann wüsste jeder, der Schrempp kann es nicht mehr.
mm.de: Welche Art von Rat suchen Chefs in Ihrer Coaching-Praxis?
Sollmann: Ein Beispiel: Dem Vorstand, der einen Chefposten bei einem großen Mittelständler antreten sollte, kamen Zweifel. Warum, so fragte er sich, soll ich in den Blick der Öffentlichkeit rücken? Nach einigen Coaching-Sitzungen wurde klar: Die Aussicht, sich selbst in einem medial inszenierten Spiegelbild zu begegnen, führte bei ihm zu einer Abwehrreaktion.
mm.de: Ein Problem, das Ihnen häufiger begegnet?
Sollmann: Ja. Und das im Grunde seinen Ursprung in der frühen Kindheit hat. Denn im Prinzip geht es um die Scham. Im Alter von etwa acht bis 14 Monaten entsteht dieses Gefühl. Die Botschaft, dass sich Eltern beispielsweise ärgern, wenn Säuglinge schreien, können diese nicht verstehen und verarbeiten. Weil sie auf Elternliebe angewiesen sind, verstecken sie ihre ureigenen Lebensäußerungen und erfüllen die Wünsche der Eltern. Im schlimmsten Fall erkennen sie ihre eigenen Empfindungen und Lebensäußerungen nicht mehr.
Solche Menschen stehen als Erwachsene dann voll im Leben. Sie haben aber kein Gefühl für sich selbst entwickelt. Sie leben eine "Als-ob-Identität". Diese wird später in der Medienöffentlichkeit aktualisiert. Sie wollen authentisch sein, haben aber das Gefühl, dass andere mehr über sie wissen, als sie selbst. Man könnte meinen, diese Menschen sehen sich durch den von ihnen selbst vermuteten Blick des anderen, des Gegenübers.
mm.de: Wie lässt sich helfen?
Sollmann: Anfängerregeln, wie "Nimm deine Hände aus der Hosentasche", "Schau nicht direkt in die Kamera", helfen in solchen Fällen nicht. Wenn es richtig Stress gibt, dann greift jeder auf Handlungsmuster zurück, die er in der frühen Kindheit erworben und erfolgreich erprobt hat. Die Kunst des Trainers ist, diese Muster zu ermitteln und so zu bearbeiten, dass Stärken und Schwächen sichtbar werden.
mm.de: Wie läuft das genau ab?
Sollmann: Ich halte meinen Kunden zuerst den Spiegel vor, im wahrsten Sinne des Wortes. Anschließend nehme ich jeden der Manager mit einer Videokamera auf. Dabei soll er nichts sagen. So bekommt er ein Gefühl dafür, wie er ohne Worte wirkt. Dann trainiere ich Situationen und erweitere das Verhaltensrepertoire. Meine Kunden lernen zum Beispiel durch richtige Atmung zu entspannen und auch so zu wirken. Ich gebe auch Anregungen dazu, wie sich durch bestimmte Körperhaltungen und Verhaltensweisen Nähe und Distanz ausdrücken lassen.
mm.de: Wie äußern sich die genannten Defizite in der Öffentlichkeit, sofern sie nicht behoben werden?
Sollmann: Zum Beispiel in einer Unfähigkeit, Schwächen einzugestehen. Diese Personen erleben Medien als Angreifer und müssen sich verbarrikadieren. Journalisten nehmen dann an, dass derjenige einen Grund dafür haben muss, sich zu verstecken - und haken nach. Es folgt ein schier endloses Katz-und-Maus-Spiel.
mm.de: Ein Beispiel bitte.
Sollmann: Nehmen wir Bodo Hombach, den Geschäftsführer der WAZ-Gruppe. In seiner früheren Position als Kanzleramtschef war er eine Fehlbesetzung. Schon seine Körpersprache war nicht geeignet. Er war sein eigener Bodyguard. Vor jedem heiklen Statement machte er zu. Sehr passend war für ihn dagegen der Posten des EU-Sonderkoordinators für den Balkan; hemdsärmelig, in Bundeswehruniform. Und bei der WAZ reüssiert er auch, weil er als Machtmensch die Expansion der Gruppe gut vorantreiben kann.
mm.de: Ein nicht unerheblicher Faktor ist die Sympathie, mit der Chefs in der Öffentlichkeit punkten können. Empfehlen Sie Topmanagern Homestorys oder legere Fotos auf dem Motorrad?
Sollmann: Davon rate ich Topmanagern grundsätzlich ab. Es gibt aber zwei Ausnahmen: Erstens, eine Situation, in der er als öffentliche Person in Erscheinung tritt, beispielsweise bei Bällen oder Sportveranstaltungen. Zweitens wenn es darum geht, ein gesellschaftliches Feld oder Thema zu besetzen, das für die Strategie und das öffentliche Erscheinungsbild des Unternehmens von wertschaffender Bedeutung ist (Public Affairs).
mm.de: Wer kann unsicheren Chefs besser helfen: eine vertraute Personen oder ein Berater?
Sollmann: Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Wer in die Öffentlichkeit will, dem rate ich, sich Menschen zu suchen, die ehrlich, kritisch und kompetent sind. Häufig ist die Ehefrau eine gute Wahl. Allerdings sind Verwandte grundsätzlich befangen. Noch besser ist deshalb ein externer Coach, der wohlwollend aber hartnäckig ist.
mm.de: Ist es sinnvoll, dass der gesamte Vorstand Rat sucht?
Sollmann: Durchaus. Zum Beispiel wenn es um die Wirkung der Unternehmensleitung in der Öffentlichkeit geht. Vor allem aus der Zeit des Neuen Marktes und bei jungen Firmen kenne ich diesen Wunsch. Die Vorstandsmitglieder wollten einfach wissen, wie sie als Team wirken. Insoweit hat die gemeinsame Auseinandersetzung mit diesem Thema eine verbindende Kraft. Diese wirkt sich, und da können Sie sicher sein, nachhaltig positiv auf Mitarbeiter- und Medienwahrnehmung aus. Es ist aber nicht die Regel, dass ein ganzer Vorstand gemeinsam kommt.
mm.de: Sieht man daran, dass deutsche Unternehmenschefs keine Teamspieler sind?
Sollmann: Ausschlaggebend ist hierbei sicherlich der Machtaspekt. Wer sich als Topmanager mächtig fühlt oder es tatsächlich ist, will sich nicht in die Karten gucken lassen. Insofern gibt es sicherlich ein gewisses Misstrauen, gemeinsam als Team die Bühne der Öffentlichkeit zu betreten.
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